Ein Blick in die Zukunft der europäischen Bekleidungsindustrie: Am Beispiel Portugal

Die europäische Textil- und Bekleidungsindustrie steht unter Druck. Um die Herausforderungen, aber auch die Chancen unserer Branche noch besser zu verstehen, habe ich eine Reise in die Textilregion zwischen Porto und Barcelos im Norden Portugals unternommen. Gemeinsam mit einem Kunden und unter der Führung eines portugiesischen Branchenexperten, der als Innovationschef in einem hochmodernen Textilbetrieb tätig ist, habe ich fünf Tage lang Betriebe besucht und Gespräche mit Inhabern, Geschäftsführern und Managern geführt. Ziel war es, nicht nur die Fertigungsstrukturen kennenzulernen, sondern auch einen tieferen Einblick in das Ökosystem der portugiesischen Textilindustrie zu gewinnen. Nachfolgend meine wichtigsten Erkenntnisse:

Investitionen und Neugründungen trotz schwieriger Bedingungen

Portugal zeigt, dass in Europa noch immer Potenzial für Wachstum in der Textilindustrie besteht. Während in anderen europäischen Ländern viele Betriebe schließen, entstehen hier neue Unternehmen. Besonders im Bereich der Spinnerei suchen Unternehmer gezielt nach Nischen, etwa durch die Produktion von Spezialgarnen, die asiatische Großspinnereien nicht anbieten können oder wollen. Dieses unternehmerische Denken trägt dazu bei, die Wettbewerbsfähigkeit der portugiesischen Industrie zu stärken.

Eine Generationenfrage: Nachwuchsprobleme in der Konfektion

In fast allen Fertigungsstufen der Textilproduktion waren junge Mitarbeitende präsent – ein ermutigendes Bild für die Zukunft der Branche. Eine besorgniserregende Ausnahme bildet jedoch der Bereich der Konfektion. Hier ist der Anteil der über 55-Jährigen alarmierend hoch, und die Nachwuchsgewinnung bleibt eine große Herausforderung. Die geringe technologische Ausstattung in den Nähsälen erschwert die Attraktivität dieses Berufsfeldes zusätzlich. Ohne signifikante Fortschritte in der Automatisierung wird diese Fertigungsstufe mittelfristig an Kapazität verlieren, eine Abwanderung der letzten verbliebenen Betriebe in diesem wichtigen Bereich wird die logische Konsequenz sein.

Inditex als Schlüsselakteur mit hohen Anforderungen

Ein Großteil der portugiesischen Textilunternehmen arbeitet unter anderem für den spanischen Inditex-Konzern, der als fordernder Kunde bekannt ist und seine Lieferbetriebe preislich stark unter Druck setzt. Bemerkenswert ist aber der Umfang der von Inditex geforderten Transparenz: Über digitale Schnittstellen erhält Inditex in Echtzeit Einblicke in die Produktionsprozesse – von Energieverbrauch und Wasserbedarf bis hin zur Chemikaliennutzung. Diese rigorosen Standards bieten zwar Herausforderungen, fördern aber auch eine zukunftsorientierte und nachhaltige Produktion.

Recycling als Standard – mit Einschränkungen

Recyclinggarne gehören inzwischen zum Alltag in portugiesischen Textilbetrieben. Allerdings stammt das verwendete Material derzeit fast ausschließlich aus pre-consumer Quellen, also Produktionsabfällen. Die Integration von post-consumer Materialien, also Alttextilien, stellt eine nächste große Herausforderung dar, die sowohl technologische als auch logistische Innovationen erfordert.

Automatisierung allein ist keine Lösung

Trotz eines hohen Automatisierungsgrades, besonders in der Spinnerei, bleibt es schwierig, preislich mit asiatischen Wettbewerbern mitzuhalten. Die Ursachen liegen in den höheren Lohnkosten, hohen Lohnnebenkosten und nicht zuletzt in den Energiekosten sowie den strengen Umweltauflagen in Europa. Diese Faktoren unterstreichen die Notwendigkeit politischer Unterstützung, um den Standortvorteil Europas zu sichern. Es ist für Europäische Betriebe einfach nicht machbar, gegen ungleiche Konkurrenz aus Fern-Ost preislich mitzuhalten, wenn diese mit völlig anderen Grundvoraussetzungen arbeiten.

Europäische Maschinen als Rückgrat der Fertigung

Ein beeindruckendes Merkmal der portugiesischen Textilindustrie ist der Einsatz europäischer Maschinen. Ob Spinnereien, Strickerei, Webereien, Druckereien, Färbereinen – die meisten Maschinen stammen aus Deutschland, der Schweiz oder Italien. Hochkomplexe Maschinen von Unternehmen wie Trützschler, Rieter, Saurer, Brückner, Zünd, Itema oder Lectra sind überall zu sehen. Sie zeugen von der Innovationskraft europäischer Technologieunternehmen. Die Ausnahme ist auch hier wieder die Konfektion. Hinter dem oft sehr modernen Zuschnitt stehen veraltete oder billig aus Fern Ost importierte Nähmaschinen, wenige bis keine Automaten und schon gar keine Roboter. Die eine große Ausnahme ist hier die Spinnerei, wo in den modernsten Betrieben „Cobots“ zwischenzeitlich die Maschinenführung übernommen haben.

Innovation als Schlüssel zum Erfolg

Die portugiesischen Textilbetriebe beweisen, dass Innovation der Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit ist. Von wasserlosen Druckverfahren über funktionalisierte Baumwollfasern bis hin zur Entstehung neuer Hanfspinnereien – die Branche zeigt beeindruckende Ansätze, um sich gegen den Preisdruck aus Asien zu behaupten.

Politische Rahmenbedingungen als unverzichtbare Stütze

Eine zentrale Erkenntnis meiner Reise war die einstimmige Forderung nach politischen Maßnahmen. Europa benötigt einen fairen Wettbewerb. Produkte, die unter Bedingungen hergestellt werden, die nicht den europäischen Standards entsprechen, sollten strengeren Importregulierungen unterliegen. Ohne diese Unterstützung droht ein weiterer Verlust an Fertigungskapazitäten und Arbeitsplätzen.

Fazit: Die europäische Textilindustrie braucht Mut und Unterstützung

Portugal zeigt, dass die Textilindustrie in Europa eine Zukunft hat – wenn Innovation, Unternehmergeist und politische Unterstützung Hand in Hand gehen. Die Herausforderungen sind groß, doch mit gezielten Investitionen, technologischen Fortschritten und einem klaren Bekenntnis zur Nachhaltigkeit kann Europa seinen Platz in der globalen Textilbranche behaupten.

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