Billig schlägt Qualität? Warum die Modebranche gerade die falschen Entscheidungen trifft
Der nächste Schritt in die Zukunft der Industrie
Die Leser meiner hier veröffentlichten Blogartikel kennen die Zukunftsvision für eine saubere Bekleidungsindustrie, für die ich mich einsetze. Eine starke europäische Bekleidungsindustrie, so wie ich sie in der Zukunft sehe, setzt auf den Einsatz innovativer, umweltfreundlicher Materialien, befasst sich mit den Zukunftschancen der Kreislaufwirtschaft und vermeidet vor allem Überproduktion. Die Lieferkette liegt zu einem großen Teil im eigenen Einflussbereich und stellt sicher, dass Mensch und Umwelt gleichermaßen fair behandelt werden.
Viele schlechte Nachrichten
Liest man die Branchennachrichten der letzten Wochen und Monate, scheint die Textilbranche jedoch in eine völlig andere Richtung zu gehen. Anstelle von Re-Shoring und transparenter Lieferkette geht der Trend immer mehr zu Produkten billigster Herstellung ohne verlässlichen Liefernachweis. Hier nur drei der vielen schlechten Nachrichten der letzten Wochen:
• Der chinesische Onlinehändler Shein ist im Jahr 2024 erstmals umsatzstärkster Einzelhändler der Bekleidungsbranche am deutschen Markt.
• C&A schließt sein Pilotprojekt der Jeansfabrik in Mönchengladbach.
• Mit Palmers ist ein weiteres Traditionsunternehmen – einst das Flaggschiff der österreichischen Bekleidungsindustrie – in den Konkurs geschlittert.
Gewinnen immer die, die billiger produzieren?
Es stellt sich immer wieder die Frage, ob in einer freien Marktwirtschaft nicht letztlich immer das günstigste Produkt gewinnt und somit sämtliche Versuche, die Herstellung nachhaltiger und innovativer zu gestalten, zum Scheitern verurteilt sind. Laufen nicht letztlich alle Unternehmen, die sich um eine saubere Entwicklung der Branche bemühen, Gefahr, wirtschaftlich unter die Räder zu kommen?
Bedeutende Marken waren noch nie die billigsten
Ich halte dagegen: Auf jedem Markt gibt es Unternehmen, deren Verkaufsstrategie auf den niedrigsten Preis setzt. Langfristig haben diese Unternehmen jedoch wenig Erfolg. Erfolgreich sind letztlich immer die innovativen Marken und diejenigen, die in der Lage sind, eine starke Identität aufzubauen. Das gelingt nur mit einem klar erkennbaren Mission Statement.
Menschen wollen Marken, die für etwas stehen und mit denen sie sich identifizieren können. Sie wollen Teil einer Markenwelt sein. Ich könnte hier unzählige Beispiele aus den verschiedensten Branchen nennen – vom Smartphone bis zur Mobilität, aber auch von Schuhen bis zur Kopfbedeckung. Kleider machen eben Leute.
Alles richtig gemacht – oder doch nicht?
Kann es sein, dass die Bekleidungsbranche einfach vergessen hat, Begehrlichkeiten zu wecken? Hochwertige Produkte mit hoher Anziehungskraft funktionieren.
Hat C&A versucht, die in Mönchengladbach unter fairen Bedingungen produzierten Jeans mit einer besonderen Story zu verkaufen? Ich habe das Projekt von Anfang an beobachtet und unzählige Store-Besuche bei C&A durchgeführt. Kein einziges Mal bin ich auf den Hinweis gestoßen: „Hey – wir machen es anders, wir bemühen uns um einen neuen, besseren Weg!“
Das ist nicht passiert. Die fair erzeugten Produkte wurden gemeinsam mit allen anderen Produkten vermarktet, deren Lieferketten über die ganze Welt verstreut sind. Doch wenn der Kunde keine Information erhält – wie soll er dann den Mehrwert eines hochwertigen Produktes erkennen?
Es war Jahre zuvor schon dasselbe mit der „Speedfactory“ von Adidas. In Herzogenaurach hatte Adidas eine hochmoderne Microfactory aufgebaut – eine Schuhfabrik, die in der Lage war, Einzelstücke in Deutschland herzustellen. Alle damals verfügbaren technologischen Innovationen waren gebündelt in einem Raum. Adidas soll rund 100 Millionen Euro in das Projekt investiert haben – um es nach einem personellen Wechsel an der Konzernspitze wieder einzustellen.
Doch es waren nicht die technischen Hürden, die das Projekt scheitern ließen. Es war das fehlende Mindset und die mangelnde Überzeugung, damit etwas wirklich Bedeutsames zu tun. Ein wertvolles Pilotprojekt, aufgebaut von einem finanzstarken Konzern, wurde eingestampft. Welche Chancen wurden damit vertan, ein Konzept weltweiter Adidas-Microfactories zu etablieren? Weil die Kosten pro Schuh höher waren als in den klassischen Herstellungsländern, wurde das Projekt nicht weiterverfolgt.
Und noch ein Beispiel
Auch der Niedergang von Palmers ist aus meiner Sicht ähnlich zu betrachten. Palmers war in den 70er-, 80er- und 90er-Jahren ein Flaggschiff der österreichischen Bekleidungsindustrie – unter anderem, weil es damals offensichtlich war, dass Palmers eine österreichische Marke mit lokaler Produktion war.
Man hatte nicht nur ein weithin sichtbares Bürogebäude an der Südautobahn knapp nach Wien als Hauptsitz, sondern auch eine lokale Fertigung. Kundinnen von Palmers vertrauten auf ein hochwertiges Produkt einer heimischen Marke.
Was blieb nach dem Verkauf von Palmers? Ein vergleichbares Produkt – aber ohne Seele, ohne erkennbare Identität.
Ich bin überzeugt, dass starke Marken in der Bekleidungsbranche genau diese Identität wiederaufbauen und die Wertigkeit der Produkte wieder in den Vordergrund stellen müssen. Die Herstellungskette ist Teil der „Seele“ eines Bekleidungsprodukts. Es ist ein Statement, was ich trage und mit welcher Bekleidung ich mich in der Öffentlichkeit präsentiere.
Antworten in den USA?
In der kommenden Woche werde ich gemeinsam mit einem Kunden einen weiteren Schritt in Richtung hochwertiger, hochautomatisierter und smarter Bekleidungsfertigung in Europa unternehmen. Ziel ist es, Bekleidung mitten in Deutschland zu produzieren und die Herstellung zu einem Teil der Markenidentität zu machen.
Um dieses Projekt umzusetzen, bedarf es modernster Technologie – und vor allem Mut sowie das richtige Mindset. An Mut und Mindset mangelt es nicht. Die offene Frage ist: Welche Technologiepartner finden wir, die in der Lage sind, für die Zukunft der Bekleidungsindustrie einen echten Unterschied zu machen?
Unsere Reise führt uns in die USA, wo verschiedene Technologieunternehmen alternative Wege zur traditionellen Bekleidungsherstellung suchen – und dabei bereits beachtliche Fortschritte erzielt haben.
Noch ist unklar, wie lange es dauern wird, bis sich diese Automatisierungsansätze durchsetzen. Doch auf jeden Fall werden wir lernen, welche nächsten Schritte notwendig sind, welche Hürden noch zu überwinden sind und wer die maßgeblichen Player in einem Netzwerk innovativer Marken sind, die solche Entwicklungen aktiv unterstützen.
Am Ende werden es genau diese Player sein, die unsere Industrie auf ein neues Level heben.