Textilrecycling: Mythos oder bahnbrechende Technologien der Zukunft?
Die Modeindustrie steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Seit Jahrzehnten dominiert das Modell der „Fast Fashion“, das den raschen Konsum billiger Kleidungsstücke fördert und dabei eine enorme Menge an Textilabfällen erzeugt. Diese Entwicklung hat nicht nur erhebliche ökologische Auswirkungen, sondern stellt auch ein ethisches Dilemma dar, insbesondere im Zusammenhang mit dem sogenannten „waste colonialism“ – einem Phänomen, bei dem Textilabfälle aus dem Globalen Norden in Entwicklungsländer exportiert werden. Faser-zu-Faser-Recycling von Altbekleidung wäre ein möglicher Ausweg aus diesem Dilemma. Doch wie realistisch ist die industrielle Skalierung bestehender technologischer Ansätze, und wo liegen die Hürden auf dem Weg zu einem geschlossenen textilen Kreislauf?
Die neue EU-Vorschrift und ihre Folgen
Ab dem 1. Januar 2025 wird es in der EU zur Pflicht, Textilien separat zu sammeln. Dies soll einen wichtigen Schritt hin zu einer Kreislaufwirtschaft darstellen, in der Textilien nicht mehr einfach als Müll betrachtet, sondern wiederverwertet werden sollen. Doch was passiert nach der Sammlung? Bis heute konzentriert sich der Großteil der Sortierbetriebe vor allem darauf, sogenannte „Cream Ware“, also hochwertige Gebrauchtkleidung, auszusortieren, die dann gewinnbringend in den Second Hand Markt weiterverkauft werden kann. Diese Praxis trägt allerdings nur in geringem Maße zur Lösung des Textilabfallproblems bei. Der Anteil der „Cream Ware“ bei Alttextilsammlungen liegt weit unter 10% und wird von Jahr zu Jahr geringer. Der Großteil der Kleidung, insbesondere minderwertige oder stark abgenutzte Stücke, wird entweder downgecycelt oder in Länder des Globalen Südens exportiert.
Angesichts der großen Menge an Textilabfällen und der geringen Nachfrage in traditionellen Exportmärkten ist das bisherige System weder nachhaltig noch zukunftsfähig. Der europäische Altkleidermarkt steckt aktuell in einer tiefen Krise. Die Preise für gebrauchte Textilien fallen rasant, während die Kosten für Sammlung und Verarbeitung steigen. Die EU fordert immer vehementer die Einführung von Kreislaufwirtschaftsmodellen, aber die dafür notwendigen Technologien stecken noch in den Kinderschuhen.
Recycling: Ein Kreislauf mit Lücken
Einer der oft zitierten Vorbilder für ein funktionierendes Kreislaufsystem ist das PET-Flaschenrecycling. Thermomechanische Verfahren, bei denen Kunststoff eingeschmolzen und wieder zu neuen Produkten verarbeitet wird, sind im Bereich von synthetischen Fasern wie Polyester oder Polyamid ebenfalls technisch möglich. Allerdings steckt – wie so oft – die Herausforderung einer industriellen Skalierung im Detail. Farbstoffe und andere chemische Verunreinigungen müssen für eine Wiederverwendung ausgesondert werden. Der Realisierungsgrad von thermomechanischem Faserrecycling ist zum aktuellen Zeitpunkt erschreckend gering. Industrielle Anlagen, deren Kapazitäten über die Größe einer Versuchs- oder Entwicklungsanlage hinausgehen, sind in Europa derzeit nicht vorhanden.
Das mechanische Faser-zu-Faser-Recycling von Baumwolle oder Zellstofffasern (wie Lyocell) ist ebenfalls möglich. Doch auch hier gibt es gravierende Nachteile. Die Qualität der Fasern nimmt mit jedem Recyclingvorgang ab, und chemische Verunreinigungen sind weiterhin ein ungelöstes Problem. Unternehmen wie das spanische Recover setzen vorwiegend auf das Recycling von Produktionsabfällen. Das macht zwar durchaus Sinn, weil im Produktionsprozess von der Faser bis hin zum fertigen Bekleidungsteil immerhin 35% der eingesetzten Materialressourcen als Produktionsabfall wegfallen, doch auch das ist nur ein erster Schritt und löst die Herausforderungen rund um die Alttextilien nicht.
Hoffnungsträger der Zukunft
Einige innovative Unternehmen arbeiten an vielversprechenden Technologien, die das Textilrecycling auf ein neues Niveau heben könnten. Das niederländische Unternehmen Saxcell hat beispielsweise ein chemisches Recyclingverfahren entwickelt, das regenerierte Zellulosefasern aus Baumwollabfällen herstellt. Renewcell, ein schwedisches Unternehmen, hat ein ähnliches Verfahren entwickelt, bei dem die meisten im Prozess verwendeten Lösungsmittel wiederverwendbar sind. Diese Technologien sind zwar vielversprechend, doch sie stehen noch vor der Herausforderung, in großem Maßstab eingesetzt zu werden.
Ein weiteres Beispiel ist das enzymatische Recyclingverfahren des französischen Start-Ups Carbios. Hierbei werden Polyesterfasern mithilfe von Enzymen zersetzt und können so wiederverwertet werden. Auch hier handelt es sich jedoch noch um ein Verfahren, das bis heute noch nicht in großem Maßstab implementiert ist.
Trotz dieser vielversprechenden Ansätze bleibt das Recycling von Textilien eine technische Herausforderung. Besonders die Trennung von Materialien, wie zum Beispiel von Baumwolle und Polyester, stellt ein erhebliches Problem dar. Verschiedene Startups wie Worn Again und Circ arbeiten daran, diese Herausforderungen zu lösen, doch viele der Technologien sind noch nicht ausgereift und es fehlt an der notwendigen Skalierung – und mit Sicherheit auch an der finanziellen Attraktivität der dafür notwendigen Investitionen.
Wirtschaftliche Herausforderungen und die Rolle des Marktes
Die Entwicklung innovativer Recyclingtechnologien steht nicht nur vor technischen, sondern auch vor wirtschaftlichen Hürden. Der Konkurs des schwedischen Recyclingpioniers Renewcell im Februar 2024 hat gezeigt, dass selbst führende Unternehmen im Bereich der Nachhaltigkeit den Marktkräften nicht entkommen können. Der Preis für recycelte Rohstoffe liegt bis dato deutlich über dem von „Virgin Fibers“, also neu hergestellten Fasern. So lange es günstiger ist, neue Fasern herzustellen, wird es schwer sein, recycelte Materialien konkurrenzfähig zu machen.
Dies erinnert an die Elektromobilität, die in vielen Ländern nur durch staatliche Förderungen und Marktregulierungen Fuß fassen kann. Auch im Bereich des Textilrecyclings wird es ohne entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen schwer sein, den Markt anzukurbeln. Der wirtschaftliche Anreiz für Unternehmen, in das Recycling von Textilien zu investieren, ist momentan schlichtweg nicht groß genug.
Ein kritischer Punkt, der bei der Diskussion um textiles Recycling oft übersehen wird, ist die mögliche Rolle, die es in der Zukunft der Fast-Fashion-Industrie spielen könnte. Sollte das Recycling von Textilien problemlos und kostengünstig werden, könnte dies die Konsumgewohnheiten weiter anheizen. Wenn die Entsorgung von Kleidung keine große Herausforderung mehr darstellt, könnte die Fast-Fashion-Industrie weiter wachsen und der Konsum noch stärker steigen.
Eine mögliche Lösung für dieses Dilemma wäre es, Kleidung nur noch dann in Verkehr zu bringen, wenn der Hersteller auch für das Recycling Verantwortung übernimmt. Ähnlich wie bei Verpackungen könnte der Kunde einen Kostenanteil für das Recycling zahlen. Dieser Kostenanteil könnte dann verwendet werden, um sicherzustellen, dass die Kleidung am Ende ihres Lebenszyklus fachgerecht entsorgt oder recycelt wird. Doch auch hier gibt es noch viele offene Fragen, insbesondere in Bezug auf die Rücknahmesysteme.
Fazit: Noch viel zu tun
Obwohl es einige vielversprechende Ansätze und Technologien gibt, steht das Textilrecycling noch völlig am Anfang und hat noch unzählige Herausforderungen zu meistern. Es braucht nicht nur technologische Durchbrüche, sondern auch wirtschaftliche Anreize und gesetzliche Rahmenbedingungen, um den Markt für recycelte Fasern zu beleben. Der Weg hin zu einer nachhaltigen Textilwirtschaft ist lang, doch er muss gegangen werden – denn die Zeit drängt.